Die vielen Gesichter meiner Erkrankung

Es ist gar nicht so einfach meine körperliche und seelische Befindlichkeit in Worte zu fassen. Gleich nach meiner Geburt wurde bei mir M. Hirschsprung (Teile des Dickdarmes sind ohne Nervenversorgung) diagnostiziert. Auf dem Transfer ins Mautner Markhof Kinderspital erfolgte im Rettungswagen meine Nottaufe, schon von Anbeginn meines Daseins musste ich mich ums Überleben bemühen. Im Krankenhaus wurde mir wurde ein Jejunusstoma (künstl. Darmausgang) angelegt und dieses musste ein Jahr offengehalten werden, um dann später dem Colon (Dickdarm) einer Zweidrittel – Resektion zu unterziehen.

Soweit ich zurückdenken kann, erlebte ich meine körperliche Konstitution immer als Herausforderung, ich musste mich vielmehr anstrengen als andere Kinder oder Jugendliche, was mich aber nicht daran hinderte mit ihnen mithalten zu wollen. Wenn ich mir Kinderfotos in Erinnerung rufe, sehe ich ein Kind mit ausgeprägter Urticaria (Nesselsucht), mein Gesicht war voller roter Flecken. Mein Bindegewebe ist weich und verletzlich, es reagiert auf geringste Beanspruchung mit Hämatomen (Blutergüsse) und die veränderte Wundheilung führt zu wulstigen, großen Narben.

Angesichts meiner frühen Erfahrungen kommt es nicht von ungefähr, dass ich den Beruf der Gesundheits- und Krankenschwester erlernte. Das Leben meinte es gut mit mir, denn ich begegnete in jungen Jahren meinem jetzigen Ehemann und obwohl die Ärzte überzeugt waren, dass ich nie schwanger werden würde, bekam ich drei Kinder. Die Geburt des dritten Kindes endete jedoch in einer Katastrophe, denn ich erlitt eine Uterusruptur (Zerreißen der Gebärmutter) und es musste eine Notsectio (Not-Kaiserschnitt) durchgeführt werden. Nach 10 Tagen bekam ich unerträgliche Schmerzen und war kaum fähig mein Neugeborenes zu versorgen. Die Ärzte waren der Meinung, ich reagiere psychisch übertrieben und gaben mir Beruhigungsmittel. Auf diese Medikamente konnte ich mich keinen Millimeter bewegen, ich erweckte den Eindruck tief und fest zu schlafen, dabei litt ich stundenlang unter Höllenqualen, ohne mir Hilfe holen zu können. Ausgelöst wurden diese Schmerzen durch eine Thrombose im Bauchraum bis zur oberen Hohlvene, sowie einem Lungen- und Niereninfarkt. Neuerlich musste ich stundenlang einer Operation unterzogen werden, mit darauffolgender intensivmedizinischer Behandlung. Kein Arzt gab mir damals eine Überlebenschance – außer meinem Mann, der nicht von meiner Seite wich. Nach einem Zwischenfall während einer Untersuchung entwickelte ich massive Migräneanfälle, laut Neurologen musste ich ab nun starke Antikonvulsiva (gegen Epilepsie) und Triptane (schweres Migränemittel) nehmen.

Ich brauchte 1 ½ Jahre um mich etwas von den Ereignissen rund um die Geburt zu erholen. Bedingt durch den Niereninfarkt entwickelte ich in Folge eine „Stumme Niere“, die zu einem späteren Zeitpunkt entfernt werden musste. Neuerlich machten Komplikationen einen intensivmedizinischen Aufenthalt notwendig. Vor allem hatte ich drei Wochen danach noch immer unerträgliche Schmerzen, konnte nur im Sitzen schlafen und musste neuerlich im Krankenhaus behandelt werden. Die Rekonvaleszenz dauerte über ein Monat, bis ich wieder arbeitsfähig war. Da ich den Pflegeberuf seit der Geburt meines dritten Kindes nicht mehr ausüben konnte, entschloss ich mich für einen Berufswechsel und begann eine Ausbildung zur Personenzentrierten Psychotherapeutin. Heute bin ich auch Psychotraumatherapeutin, Psychoonkologin und habe ein Medizin- u. Bioethikstudium abgeschlossen.

In den folgenden Jahren versuchte ich meinen Erschöpfungszuständen und meinem generellen Unwohlsein auf die Schliche zu kommen. Zuerst wurde Hashimoto (Schilddrüsenerkrankung) festgestellt, dann eine Histaminintoleranz und schlussendlich auch Fibromyalgie (generalisierte Schmerzen der Muskeln und des Bindegewebes). Ich kann keine großen Essensmengen zu mir nehmen, da mein Verdauungsapparat damit nicht zurechtkommt, es plagen mich Übelkeit und Magenschmerzen. Belaste ich meinen Darm zu viel, kann es schon sein, dass er mit einem Ileus (Darmverschluss) darauf reagiert. Als eine der größten körperlichen und psychischen Belastungen erlebe ich das Setzen einer Magensonde, um den Verdauungsapparat zu entlasten. Schmerzzustände begleiten mein Leben, eine lange Zeit litt ich unter extremen Nackenschmerzen. Kaum schaffte ich sie zu lindern, erwachte ich bald wieder mit diesem ziehenden, brennenden Schmerz, eine Odyssee.

Nach einem körperlichen Zusammenbruch zu Jahresbeginn 2018, mit massiven Schmerzen im Schulter-Kopfbereich, nahm sich die leitende Ärztin unseres Physikalischen Institutes im Krankenhaus meiner an und schickte mich kurzerhand erstmals in meinem Leben auf Rehabilitation. In dem Zentrum hatte ich das große Glück einer ausgesprochen kompetenten Schmerzexpertin in die Hände zu fallen. Die Ärztin stellte eine Occipitalneuralgie (Gehirnnervenschmerz) und Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) fest. Ab nun wurde ich mit Infiltrationen in den Gehirnnerv und Tabletten behandelt, nach 23 Jahren inadäquater Behandlung beruhigte sich meine Schmerzsituation erstmals. Auch wenn ich seither nicht gänzlich schmerzfrei bin, hat sich meine Lebensqualität doch um vieles verbessert.

Nach wie erschweren mir Atemnot, Verdauungsprobleme und immer wieder diese unleidige Erschöpfung den Alltag. An manchen Tagen fühlt sich mein Körper derart instabil an, als wäre er aus Slime-Masse und ich kann ihn nur mit Mühe aufrecht halten. Einzig meinem antrainierten Durchhaltevermögen ist es zu verdanken, dass ich nicht aufgebe und meinem geliebten Beruf im palliativen und onkologischen Bereich eines Universitätsklinikums und in meiner eigenen psychotherapeutischen Praxis weiter nachgehen kann.

Bisher nahmen meine Ärzte, meine Familie und ich an, dass meine Symptome und Beschwerden eine Folge meiner bisherigen Krankheitsgeschehen waren. Und doch ließ mich der Gedanke nicht los, ob es nicht einen übergeordneten Zusammenhang zwischen all den Ereignissen geben könnte.

Dann kam mir ein Zeitungsbericht von Katharina Sigl über das Ehlers Danlos Syndrom in die Hände, es war, als hätte ich den fehlenden Puzzleteil gefunden. Meine mittlerweile gut geschulte Körperwahrnehmung führte mich, wie so oft in meinem Leben, auf die richtige Spur. Ich trat mit Katharina in Kontakt und schon bald darauf hatte ich mittels ihrer Hilfe die ersten Arzttermine zu Abklärung eines EDS. Inzwischen hat sich die Verdachtsdiagnose EDS klinisch bestätigt. Vertiefende medizinische Untersuchungen laufen noch, da weit noch nicht alle EDS-Formen nachweisbar sind. Auf Grund von Röntgenaufnahmen und genauer Anamnese gehen die Ärzte bei mir vom Occipitalhorn EDS aus.

Im Alter von 55 Jahren hat meine Suche nach Erklärungen ein vorläufiges Ende gefunden. Auch wenn die Erkenntnis der Diagnose zuerst mit Trauer und Sorge verbunden war, so stellt sie schlussendlich eine große Entlastung dar. Meine Intuition (Summe aller Erfahrungen des Unterbewusstseins) und mein erworbenes Wissen haben mich gelehrt mir selbst zu vertrauen. Auch wenn es oft verwirrend und krisenhaft zuging und ich tiefe körperliche und seelische Täler durchleben musste, so bin ich nach wie vor eine grundoptimistische Person geblieben. Ich liebe meine Fröhlichkeit, liebe meine Arbeit und kann mir ein Leben ohne meine Familie nie und nimmer vorstellen. Kaum jemand vermutet, wie sehr mein Leben eingeschränkt und schmerzhaft ist, nicht umsonst wird EDS die „Unsichtbare Krankheit“ genannt. Sollten mich die chronischen Erschöpfungszustände wieder einmal in ihren Bann ziehen, so ist meine Familie zur Stelle. Je nachdem anerkennen sie meine Energielosigkeit oder motivieren mich ziemlich vehement diesem Drang des Einigelns nicht nachzugeben.

Ich versuche mein „Anderssein“ zu akzeptieren, was nicht immer leicht ist und mich mitunter auch verzweifeln lässt. Vor allem, wenn ich wieder in Versuchung komme mich an Mitmenschen zu messen. Mittlerweile gelingt es mir aber immer besser langsamer zu treten, nicht bis an den Rand der Erschöpfung zu gehen, - und Hilfe anzunehmen.

Jetzt gerade bin ich zum zweiten Mal zur Rehabilitation im Moorbad Harbach und mit meinem „Anderssein“ hier wunderbar aufgehoben. Die Übungen und Therapieeinheiten fordern und fördern meinen Körper. Ich liebe es zu schwimmen, mich im Wasser zu bewegen erleichtert mir so manch kräftigende Übung. Es ist, als öffne sich meine Seele in der Schwerelosigkeit, ein herrliches Gefühl. Ziel ist es meinen derzeitigen Allgemeinzustand zu erhalten. Die betreuende Ärztin hat mich dazu angehalten nun regelmäßig die Möglichkeit einer spezifischen Rehabilitation wahrzunehmen. Mir ist bewusst, dass Achtsamkeit und Fürsorge mir selbst gegenüber mich immer wieder fordern werden, aber das ist ja gut so.

Fazit:

  • wir dürfen uns Selbst und unserem Körper vertrauen, der tiefes Wissen in sich trägt
  • wir verfügen über ein uns innewohnendes Bestreben der körperlichen, seelischen und geistigen Selbstheilung, dass uns leitet
  • wir sind Experten für uns Selbst
  • wir SIND Körper
  • wir SIND Leben
  • wir SIND Liebe (vor allem uns Selbst gegenüber)

(Stand April 2021)